30.04.25 –
Als am 9. April die Spitzen von CDU, CSU und SPD den Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags vorstellten, wurde deutlich: Queere Rechte sind für diese Koalition verhandelbar – und offenbar verzichtbar. Ganze zwei Mal kommt das wort queer auf den fast 150 Seiten vor, gerade eine Drittelseite nehmen die queerpolitischen Maßnahmen der neuen Regierung überhaupt ein. Was über queeres Leben enthalten ist, ist so knapp wie nichtssagend.
Das Fazit: Wird der Koalitionsvertrag so umgesetzt wie vorgelegt, ist der queerpolitische Aufbruch der letzten Legislatur Geschichte. In manchen Punkten bedeutet er Stillstand, in vielen Bereichen sogar einen echten Rückschritt. Mit dieser Politik nimmt der Schutz queeren Lebens ab und werden die Rechte queerer Menschen zum Teil massiv beschnitten. Darüber hinaus trifft solch eine Politik besonders hart die, die ohnehin von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind wie queere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, finanzschwache Queers, rassifizierte Queers, queere Menschen mit Behinderung oder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus.
Ein ganzer Abschnitt widmet sich dem Gesetz, mit dessen Hilfe trans, inter, nicht-binäre und andere queere Menschen selbstbestimmt ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Unter Bezug auf transfeindliche Narrative vom vermeintlichen Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen, die in antifeministischen und queerfeindlichen Diskursen seit Jahren strategisch verwendet werden, soll das Gesetz „evaluiert“ werden. Es ist zu befürchten, dass am Ende dieser „Evaluation“ mindestens eine deutliche Verschlechterung des Gesetzes stehen wird, die bereits bestehende Hürden erhöht, der Schutzstatus betroffener Personen verringert und transfeindliche Ressentiments verstärkt. Dabei sind es gerade queere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die es durch Unterstützungsstrukturen in ihrer Selbstbestimmung zu empowern gilt.
Die Erweiterung des Artikels 3 des Grundgesetzes um den Schutz geschlechtlicher und sexueller Identität ist im Koalitionsvertrag nicht enthalten. Queere Menschen bleiben damit weniger geschützt als andere von Diskriminierung betroffene Bevölkerungsgruppen. Angesichts der Zunahme queerfeindlicher Hetze und Gewalt sowie des Erstarkens rechter Kräfte ein fatales Zeichen für queere Menschen in diesem Land. Insbesondere trans*, inter* und nicht-binäre Menschen sowie Queers of Color und queere Geflüchtete werden weiterhin strukturell benachteiligt.
Der AGG-Reform sind zwei weitgehend inhaltsleere Sätze gewidmet. Ob eine wirkliche Reform geplant ist, der Geltungsbereich ausgeweitet oder Klagerechte verstärkt werden sollen, geht daraus nicht hervor. Die Vagheit lässt erwarten, dass bestenfalls kosmetische Änderungen vorgenommen werden sollen. Das AGG ist strukturell veraltet, berücksichtigt viele Formen intersektionaler Diskriminierung nicht und schützt insbesondere trans*, inter* und nicht-binäre Menschen bislang nur unzureichend. Eine Verbesserung ist nicht zu erwarten.
Die Koalition plant die Halbierung der Beauftragtenstellen der Bundesregierung. Da die Position der*s Queerbeautragten nicht konkret als zu erhalten genannt wird, ist zu erwarten, dass sie ebenso abgeschafft werden soll wie der Aktionsplan „Queer leben“. Damit entfällt die institutionelle Verankerung queerer Interessenvertretung auf Bundesebene – ein Schritt, der queeres Leben entpolitisiert und marginalisiert.
Die Stärkung der Rechte queerer Eltern durch eine grundlegende Reform des Abstammungsrechts fiel dem Ampel-Aus zum Opfer. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot findet sich davon nichts. Damit müssen queere Eltern auch weiterhin damit rechnen, deutlich schlechter als ihre nicht-queeren Pendants gestellt zu sein. Unwürdige Praktiken wie der Zwang zur Stiefkindadoption durch Eltern in gleichgeschlechtlichen Paaren werden so verfestigt.
Auch zu geschlechtsangleichenden Operationen und anderen queere und vor allem trans* Menschen betreffende Gesundheitsleistungen steht nichts in dem Papier. Eine Finanzierung solcher Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen ist nicht geplant, auch sonst findet queere Gesundheit in dieser Regierung keinen Platz. Damit wird queeren Menschen, insbesondere trans* Personen, weiterhin der Zugang zu grundlegender, medizinisch notwendiger Versorgung strukturell erschwert – mit drastischen Folgen für ihre psychische und physische Gesundheit. Prävention und Behandlung von STIs sind im Koalitionsvertrag ebenfalls eine besorgniserregende Leerstelle.
Die massiven Verschärfungen und Entrechtungen, die die Koalition für geflüchtete Menschen plant, werden queere Geflüchtete mit besonderer Härte treffen. So werden auch sie aufgrund der geplanten Zurückweisungen Asylsuchender an den Grenzen zunehmend abgewiesen werden. Die vorgesehene Ausweitung der Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten wird den Schutz queerer Geflüchteter weiter verringern. Damit ignoriert die Bundesregierung die Lebensrealität queerer Menschen in vielen dieser Staaten, in denen ihnen strukturelle Gewalt, Haft oder sogar Tod drohen.
Diese kurze und unvollständige Aufzählung zeigt: Für queere Menschen und queeres Leben in diesem Land bedeutet die zukünftige Merz-Regierung nicht nur einen echten Rückschritt sondern auch eine ernsthafte Gefahr.
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